Aktenkunde

Wie entstanden die Akten und wie kann man sie als historische Quellen benutzten ?

von Dr. Wolfgang Hans Stein, Koblenz
Gliederung

  1. Provenienzien


    1. Staatliche Verwaltungsbehörden

    2. Wirtschaftsunternehmen

    3. Kirchen, Missionsgesellschaften und Missionsorden

    4. Privatpersonen


  2. Entstehung der Akten


    1. Geschäftsordnungen

    2. Vorgang und Aktenbildung

    3. Geschäftsgang und Registratur

    4. Aktenführung

    5. Aktenablage


  3. Beispiele:


    1. Schriftwechsel des Provinzials der deutschen Pallottinerprovinz mit dem Reichs­kolonialamt betr. Berichte von Pallottinermissionaren in Kamerun aus Krieg und Gefangenschaft, 1916

    2. Geschäftsjournal der Kolonial-Abteilung des Auswärtigen Amts von 1885

    3. Geschäftsjournal des katholischen Feldprobstes der Schutztruppen Dr. Vollmar, 1911


1. Provenienzen

Das Archivportal erschließt Quellen unterschiedlicher Provenienzen, darunter staatliche Verwaltungen, Wirtschaftsunternehmen, Kirchen und Missionen sowie Privatnachlässe. Am stärkste formalisiert ist die Aktenführung der staatlichen Verwaltung. Ihre Grundprinzipien werden in vereinfachter Form aber auch vielfach von den anderen Provenienzbildnern angewandt.

(1.1) Die Staatlichen Verwaltungsgbehörden der deutschen Kolonialzeit folgen in der Verwaltungstechnik der Tradition der preußischen Verwaltung. Sie wurde nicht nur von den Behörden in Deutschland selbst angewandt, sondern auch in den Kolonien bis in die kleinsten Verwaltungsbüros beachtet.


Diese Verwaltungstechnik zeigt sich in verschiedenen Elementen, die bekannt sein sollten, um die Akten richtig interpretieren zu können. Die Arbeit der Verwaltungen ist durch Geschäftsordnungen bestimmt, die den Geschäftsgang regeln. Die Anwendung des Geschäfts­ganges führt dazu, dass die Akten vorgangs­weise entstehen. Für jeden Verwaltungsvorgang wird eine eigene Akte angelegt, die alles zu diesem Vorgang gehörende Schriftgut enthält und auch die spätere Aktenbildung bestimmt. Der Geschäftsgang schreibt auch die Art der Aktenführung vor und damit die Art, wie Verwaltungs­vorgänge zu behandeln sind, und er bestimmt die Rolle der Registratur zur Steuerung und Überwachung des Geschäftsgangs. Schließlich ergibt sich daraus auch, in welcher Form die Aktenablage zu bilden ist, mit der der Forscher dann bei der Archivarbeit konfrontiert ist.
Speziell beschäftigt sich mit diesen Fragen die deutsche Aktenkunde. Sie untersucht außer der Entstehung der Akten (genetische A.) auch deren Form (analytische A.) sowie die bei den Akten vorkommenden Gattungen (systematische A.).
Literatur:
Schmid, Grehard: Akten, in: Beck, Friedrich / Henning, Eckart: Die archivalischen Quellen, Köln 5. Aufl. 2012, S. 89-124, bes. S. 105 ff DNB
Hochedlinger, Michael: Aktenkunde. Urkunden- und Aktenlehre der Neuzeit, Wien 2009 DNB
Enders, Gerhart: Archivverwaltungslehre, Berlin 3. Aufl. 1968, ND Leipzig 2004, S. 32-40. DNB
(1.2) Wirtschaftsunternehmen führen vor allem Korrespondenzakten. Dabei haben sich die anfangs noch mehr persönlichen Kaufmannsbriefe immer mehr zu formalisierten Geschäftsschreiben entwickelt. Dazu kommen spezielle kauf­männische Schriftgutarten wie Geschäftsverträge und ein differenziertes Buchwerk zur Abwicklung von Waren- und Finanzgeschäften sowie für Buch­führung und Bilanzen.
Literatur:
Schmid: Akten, S. 122 ff; Erich Neuss: Aktenkunde der Wirtschaft, Bd. 1-2, Berlin 1954-1956. DNB
(1.3) Kirchen, Missionsgesellschaften und Missionsorden, folgen in ihrer Aktenführung weitgehend den Formen, die auch für die öffentliche Verwaltung gelten, wenn auch in an den jeweiligen Organisationsgrad angepasster Form. Hinzu kommt die kirchliche Registerführung, u.a. der Kirchenbücher. Eine Besonderheit sind die Chroniken, die von fast allen kirchlichen Stellen geführt werden. In den Missionsstationen werden vielfach Durchschreibebücher für die ausgehende Korrespondenz verwendet, während für die Eingänge eine eigene Ablage gebildet wird.

(1.4) Privatpersonen sind natürlich völlig frei in der Gestaltung der Ablage ihrer privaten Unter­lagen. Trotzdem hat sich bei der archivischen Ordnung von Nachlässen eine ziemlich einheitliche Gliederung nach den Tätigkeitsbereichen des jeweiligen Nachlassers durchgesetzt.

Literatur:
Hermann Schreyer: Die Gliederung von Nachlässen, in: Archivmitteilungen 12, 1962, S. 14-20. ZDB

2. Entstehung der Akten

(2.1) Geschäftsordnung


Geschäftsordnungen sind behördeninterne Anweisungen für die Arbeitsweise der Behörde, also den Geschäftsgang. Sie regeln die interne Behandlung von Verwaltungsvorgängen sowohl bei der Bearbeitung von Anträgen von außen wie auch bei der Ausarbeitung von durch die Behörde selbst veranlassten Regelungen (ex officio). Sie sind eng mit dem Geschäftsverteilungsplan verbunden, denn danach richtet sich die Zuweisung der Vorgänge an die jeweils zuständigen Sachbearbeiter innerhalb der Behörde.
Bei einer längeren Beschäftigung mit dem Schriftgut einer Behörde lohnt es sich deshalb immer, zunächst zu ermitteln ob im Behördenbestand auch eine Geschäftsordnung und ein Geschäfts­verteilungsplan überliefert ist.

(2.2) Vorgang und Aktenbildung

Akten werden in deutschen Verwaltungen vorgangsweise geführt. Alle Unterlagen, die für eine Verwaltungsentscheidung herangezogen werden, sind in einer Akte zusammengefasst. Die Akte beginnt also mit einem Antrag oder einer Anweisung, sie enthält ggf. beigezogene Vorakten und zu beachtende Präzedenzfälle sowie auch ggf. Stellungnahmen von anderen an dem Vorgang beteiligten Verwaltungsstellen. Sie endet mit der so herbeigeführten Verwaltungsentscheidung und deren Mitteilung an den Antragsteller oder den Betroffenen.
Bei kleineren Vorgängen werden meist Vorgänge gleicher Art zu einer Betreffakte zusammen­geführt, während Vorgänge, die einen gewissen Umfang angenommen haben, jeweils zu einer Sachakte formiert werden. So können die Akten über für einen kolonialen Bahnbau nötige Grundstück­geschäfte zu einer Betreffakte über die Grundstückserwerbungen für die XYZ-Bahn zusammen­gefasst werden, die Akten eines besonders langwierigen Falls aber eine Sachakte über den Erwerb des Grundstückes für den Bereich ABC der XYZ-Bahn bilden. Immer aber ist der einzelne Verwaltungsvorgang die kleinste Gliederungseinheit der Akten, so dass oft auch Sachakten und Betreffakten insgesamt als Sachakten im allgemeineren Sinn bezeichnet werden, so auch in der Datenbank des Bundesarchivs.
Davon zu unterscheiden sind Serienakten, bei denen bestimmte Typen von Akten wie z.B. die Tageskorrespondenz einer Verwaltungsstelle ohne Bindung an einen Vorgang zusammengeführt werden. Davon zu unterscheiden sind auch reine Dokumentenablagen nach Betreff ohne einen verwaltungsmäßigen Zusammenhang. Diese Aktenbildungen sind bei deutschen Verwaltungen allerdings selten.

(2.3) Geschäftsgang und Registratur

Das zentrale Instrument zur Steuerung und Kontrolle von Verwaltungsprozessen in den deutschen Verwaltungen der Kolonialperiode ist die Registratur, eine für die deutschen Verwaltungen eigentümliche Behördenfunktion. Nichts gelangt in den Geschäftsgang einer Behörde, was nicht durch die Registratur gelaufen ist. Und das Gleiche gilt auch für die innere Verwaltungs­kommunikation der Behörde in der hier interessierenden Zeit. Ein neuer Eingang in einer Behörde erhält zunächst einen Eingangs­stempel mit Behördenfirma und Tagesdatum. Eine interne Anweisung ist in aller Regel schon durch den anweisenden Beamten datiert, auch sie kann noch zusätzlich einen Eingangsstempel erhalten.

Beide Schriftstückarten werden dann zunächst dem Behördenleiter oder einer von ihm dazu beauftragten Stelle vorzulegen, die nach dem Geschäftsverteilungsplan die Stelle festlegen, die die Bearbeitung vornehmen soll. Danach werden Eingang oder Anweisung erneut der Registratur vorgelegt, die die Stücke in das Geschäftsjournal der Behörde einträgt (Beispiel: Enders: Archiv­verwaltungslehre, nach S. 40).

Die Registratur übernimmt die aus dem Stück ersichtlichen Registrierungsinformationen und trägt die Stücke mit Absender, Absendedatum, Eingangsdatum sowie dann mit Betreff und Bearbeitungs­zuweisung ein. Außerdem wird für das Stück eine Tagebuchnummer vergeben, bzw. das Stück erhält eine Vorgangsnummer, die sich aber meist aus der laufenden Nummer des Geschäftsjournals ergibt. Dies wird auch auf dem Schriftstück selbst bei dem Eingangsstempel vermerkt. Auf jeden Fall ist durch die Registrierung in der Registratur sichergestellt, dass alle relevanten Registrierungs­angaben sowohl auf dem Schriftstück selbst wie im Geschäftsjournal vorhanden sind. Erst wenn dies erfolgt ist, wird das so bearbeitete Schriftstück an die zuständigen Bearbeiter zur weiteren Veranlassung abgegeben.

In größeren Behörden erfolgte die Sachbearbeitung in einem hierarchischen Verfahren, bei dem zwischen der Entscheidungsebene durch einen Dezernenten und der Ausführungsebene durch einen Expedienten unterschieden wurde. Der Dezernent legte fest, was in einer Sache zu erfolgen hatte und notierte dies in einer Angabe auf dem Aktenstück. Der Expedient fertigte dann aufgrund dieser Angabe den Entwurf einer Antwort, eines Erlasses etc., der dann zur Genehmigung wieder dem Dezernenten oder auch noch höheren Orts vorgelegt werden musste, ehe die Kanzlei dann mit der Reinschrift betraut werden konnte. Schließlich war der Vorgang für die Unterschrift und eine Schlusskontrolle der Entscheidung nun zum dritten Mal dem Dezernenten vorzulegen, ehe das entsprechende Schriftstück dann an den jeweiligen Adressaten abgesandt und die internen Akten des Vorgangs in die Altregistratur (zu den Akten) gegeben werden konnten. Bei wichtigen Vorgängen konnte sich dieser Geschäftsgang auch noch verlängern, wenn z. B. auch noch Vorakten beigezogen und/oder andere Stellen der Behörde oder gar anderer Behörden zur Klärung der Sachlage beteiligt werden mussten. Dabei war es immer so, dass jede Weitergabe des Vorgangs über die Zwischenschaltung der Registratur erfolgte, die dabei den jeweiligen Bearbeitungsschritt und Bearbeitungsort des Vorgangs im Geschäftsjournal notierte (siehe Bewegungsschema von Beispiel 1). Grundsätzlich galt dabei die Trennung von Sach­bearbeitung und Aktenführung, was eine hohe Kontrolle über die Verwaltungsverfahren ermöglichte. Die Registratur hatte immer nicht nur die Kontrolle darüber, wo sich ein im Geschäftsgang befindlicher Vorgang gerade befand, sie war auch immer über den Stand der Bearbeitung einer Sache über alle Zwischenschritte bis hin zur Ausfertigung des Ausgangs orientiert. Insofern war das Geschäftsjournal das getreue Spiegelbild der Aktenführung. Vielfach sind allerdings die Geschäfts­tagebücher nicht mehr überliefert, so z. B. auch nicht im Bestand Reichskolonialamt im Bundesarchiv. Hier kann deshalb nur mit den Vorgangsakten gearbeitet werden.

Die Langsamkeit und Schwerfälligkeit des klassischen Geschäftsgangs führte jedoch schon im 19. Jahrhundert zu Vereinfachungen. Die zunehmende Standardisierung der Verwaltungsprozesse sowie die Möglichkeiten der beginnenden Kommunikationstechnik (Stenogramm, Schreibmaschine, Telegramm, Telefon etc.) schufen Mittel zur Direkterledigung von Vorgängen unter Überspringen von Hierarchiestufen. So müssen im Geschäftsgang einer bestimmten Behörde nicht immer alle Stufen ausgebildet sein.

(2.4) Aktenführung

Akten sind der schriftliche Niederschlag von Rechtshandlungen (lat. acta = Handlungen). Ursprüng­lich bestanden Rechtshandlung und deren Protokollierung nebeneinander, wie heute noch z.B. bei der Eheschließung, inzwischen haben die Rechtshandlungen aber weitgehend eine schriftliche Form angenommen wie etwa beim Heiratsvertrag vor einem Notar. Die Akten der deutschen Kolonial­verwaltungen bestehen also nicht einfach in einer Folge von Dokumenten, die der Forscher als Quellen benutzen kann. Vielmehr sind sie der schriftliche Niederschlag von Verwaltungs­prozessen. Dies zeigt auch die klassische Formulierung der Aktentitel in dieser Zeit: Acta betreffend XYZ.

Dabei muss alles, was den Verwaltungsprozess vorantreibt, in den Akten selbst notiert und dann ausführt werden, so dass ein sich selbst steuernder Verwaltungsvorgang entsteht. Es darf in dem Vorgang nichts geschehen, das nicht durch den jeweils zuständigen Beamten angeordnet worden ist, und es muss sich der Stand eines Verfahrens zu jedem Zeitpunkt aus den Akten ergeben.

Dazu ist der Vorgang gespickt mit Bearbeitungsvermerken, jeweils mit Datum und Paraphe des jeweiligen Bearbeiters versehen. Diese sind nicht immer einfach nachzuvollziehen. Vielfach werden dabei Abkürzungen gebracht, die heute nicht mehr geläufig sind. Oft muss man die Bearbeitungs­vermerke auch erst in die chronologische Reihenfolge bringen, um sie aus dem Kontext auflösen und den Bearbeitungsvorgang nachvollziehen zu können (vgl. dazu gute Anleitung bei Schmid: Akten, S. 107 ff; Hochedlinger: Aktenkunde, S. 64ff). Ein konkretes Beispiel eines Aktenvorganges im Abbild und in der Transkription ist als Beispiel 1 angefügt.

Die Mühe lohnt sich aber, denn nur so kann die in der endgültigen Entscheidung nicht mehr erkennbar Genese mit allen Verwaltungsschritten und allen vorgebrachten Argumenten nachvoll­zogen werden. Auch ist es gerade diese Protokollierung des Geschäftsganges in den Akten, die die Akten erst zu Belegen für entsprechendes Verwaltungshandeln und damit zu historischen Quellen für den Historiker macht.

(2.5) Aktenablage


Im der Zeit des deutschen Kolonialismus waren Aktenpläne, die für die anfallenden Akten schon vorausschauend ein Gliederungsschema bereitstellten, noch kaum verbreitet. Durch die Zuweisung der Bearbeitung der Verwaltungsvorgänge nach den Geschäftsverteilungsplänen verbunden mit der Führung von Sachakten fielen aber in den Behörden die abgeschlossenen Akten in einer systemati­schen Gliederung nach den Kompetenzen der jeweiligen Behörden an. Dazu verfügten die Registraturen meist über Registraturpläne, die die Hauptgruppen zur Gliederung der Altakten angaben. Fast immer wurde aber ein Verzeichnis über die tatsächlich vorhandenen Altakten geführt. Wo diese Aktenverzeichnisse erhalten sind, ergeben sich aus ihnen auch dann noch nützliche Informationen, wenn die spätere, archivische Gliederung des Behördenbestandes sie nicht für die Klassifikation der Akten zugrunde gelegt hat.

Akten werden heute als Geschichtsquellen benutzt. Sie sind allerdings keineswegs zu diesem Zweck geschaffen worden wie etwa Chroniken, sondern sie sind "Überreste" von Verwaltungsvorgängen und gerade darin besteht ihr Quellenwert. Akten entstehen also nur dort, wo eine Behörde tätig wird, und tätig wird eine Behörde nur dort, wo sie im Rahmen der ihr zugewiesenen Kompetenzen einen Verwaltungsauftrag hat. Ist dies aber gegeben, ist das Handeln einer Behörde aus ihren Akten und Geschäftsjournalen unmittelbar rekonstruierbar.

Dagegen muss der Historiker bei der Quellensuche gerade umgekehrt vorgehen. Die Sache, die ihn eigentlich interessiert, wird er oft zumindest auf den ersten Blick in den Inventaren nicht finden. Vielmehr muss er zunächst nach der Behörde suchen, in deren Kompetenz eine Beschäftigung mit der Sache fällt, der sein eigentliches Interesse gilt. Es ist also immer die Frage zu stellen: welche Behörde hat sich unter welchem Aspekt mit der Sache beschäftigt, die der Gegenstand meiner Forschungen ist?

3. Beispiele

Beispiel 1: Schriftwechsel des Provinzials der deutschen Pallottinerprovinz mit dem Reichs­kolonialamt betr. Berichte von Pallottinermissionaren in Kamerun aus Krieg und Gefangenschaft, 1916

BArch R 1001 Nr. 3929, fol. 91-92
Der Aktenband ist über die Homepage des Bundesarchivs als Scan in der Datenbank Invenio zugänglich.
Die geschäftstechnische Behandlung richtet sich nach der Geschäftsordnung [folgend abgekürzt GO] (R 1001 / 9703) und dem Geschäfts­verteilungsplan [folgend abgekürzt GV] (R 1001 / 9703; Abdruck bei Michael Hollmann: Reichskolonialamt, Koblenz 2003, S. XXXV-LII.DNB), und er ist auch im Vorgang selbst protokolliert.

(1.1) Kommentar

Die formale Kontrolle des Geschäftsgangs erfolgt im Reichskolonialamt nacheinander durch drei Einrichtungen, nämlich (I) dem Zentralbüro, (II) der Registratur und (III) der Kanzlei, wobei jede Einrichtung über mehrere Büro verfügen kann.

(I) Der Eingang gelangt zunächst an das Eingangs­büro, hier Zentralbüro genannt, das die Zuweisung des Eingangs zu der bearbeitenden Stelle steuert ( GO § 19: "Alle für das Reichskolonialamt bestimmten Eingänge [...] gelangen an das Zentralbureau") und erhält dort den Eingangsstempel (GO § 20: "Die zum Zentralbüro gelangten Eingänge werden [...] daselbst geöffnet, mit einem Eingangsstempel versehen, ausgezeichnet und nach den Abteilun­gen sortiert"). Es folgt die Vorlage bei dem regional zuständigen Referenten (GO § 21: "[...] sind die eingehenden Posten [...] in ihrer Gesamtheit zunächst an den Referenten des in Betracht kommenden Schutzgebietes bei der Abteilung A [...] zu leiten". § 21: Die Herren Schutzgebiets­referenten sehen die Eingänge sofort durch [...].") sowie bei dem zuständigen Abteilungsleiter (GO § 9, S. 21: "Sodann werden die Eingänge dem Leiter der Abteilung, in dessen Geschäftsbereich der Eingang fällt, vorgelegt."), wobei die Zuständigkeit überprüft und Anweisungen zur Bearbeitung des Vorgangs gegeben werden. Damit ist der über das Zentralbüro laufende Teil des Geschäftsganges beendet.

(II) Der Eingang gelangt nun in den Bereich der Registratur, die die Ausarbeitung der Antwort oder Entscheidung, die auf den Eingang ergehen soll, kontrolliert. Dabei ist im bisherigen Geschäftsgang schon geklärt worden ist, welche Registratur zuständig ist, nämlich in unserem Fall die nach dem Geschäftsverteilungsplan für Kamerun und Togo zuständige Registratur (Registratur KA IV).

Hier wird der Eingang - über den Eingangs­stempel hinaus nun in das Geschäftsjournal eingetragen (GO § 15, S. 36: "Die zu den Geheimen Registraturen gelangenden Eingänge sind möglichst noch an demselben Tag in die Journale einzutragen."), womit aus dem Ein­gang ein Vorgang der bearbeitenden Stelle wird. Dazu hat die Registratur auch schon alle für die Bearbeitung nötigen Akten als Beiakten dem Vorgang zugefügt, dessen Sachbearbeitung nun der zuständige Referent übernimmt (GO § 9, S. 26: "Nachdem die Eingänge den Abteilungs­leitern vorgelegen haben, gelangen sie unmittel­bar in die betreffenden Geheimen Registraturen, von denen sie unverzüglich den zuständigen Referenten unter Beifügung der in Betracht kommenden [..] Akten vorzulegen sind."). Vor­liegend ist dies für einen Kamerun betreffen­den Vorgang das Referat A.2, das unter der Leitung des Geheimen Regierungsrates Dr. Meyer-Gerhard steht.

Auf die Mitteilungen des Provinzials der Pallottiner erfolgte nun der Entwurf einer Antwort des Referates A.2. Er wurde von einem Konzipienten des Referates ausgearbeitet und halbschlägig auf der rechten Blattseite niedergeschrieben, während die linke Blattseite für Korrekturen reserviert war. Vorliegend sind auch Korrekturen vorgenommen worden, wobei die Geschäftsord­nung vorschreibt, dass bei Korrekturen der ursprüngliche Text lesbar bleiben soll. Der Entwurf schließt mit der Genehmigungsparaphe des verantwortlichen Referenten Meyer-Gerhard.

Eine Besonderheit ist, dass das Schreiben dem Militärreferat MA 1, bzw. dessen Unterreferat Ka zur Mitzeichnung zugeleitet wird, wobei dieses verfügt, dass die Berichte auch diesem Referat sowie dem Kriegs­ministerium abschriftlich mitgeteilt werden.

(III) Mit der Genehmigung des Entwurfes für die Antwort auf die Mitteilung des Provinzials der Pallottiner ist der Geschäftsgang im Bereich der Registraturen abgeschlossen. Es folgt nun noch die Herstellung und Versendung der Antwort unter der Kontrolle der Kanzlei. Das Konzept wird aber vom zuständigen Referat nicht direkt an die Kanzlei gegeben, die die Reinschrift herstellen soll, sondern die GO § 28(8), S. 70 bestimmt ausdrücklich: "Um [...] stets über den Verbleib der Schriftstücke eine Kontrolle zu haben, ist es notwendig, daß die Entwürfe durch die Gehei­men Registraturen zu der Geheimen Kanzlei gelangen und nicht durch Referate usw. unmittelbar".
Nach der Herstellung der Reinschrift durch die Kanzlei werden die ausgehenden Schreiben in unserer Zeit in aller Regel von den Abteilungsleitern unterschrieben (GO § 31(4), S. 83). Schließlich ist das Antwortschreiben noch durch die Poststelle zu expedieren.
Der hier dargestellte Vorgang zeigt den Geschäftsgang in einem einfachen Fall, der sich aus einem Schriftwechselpaar von Eingang und darauf erfolgten Ausgang beschränkt. Außerdem erfolgte eine Mitzeichnung. Die Vorgangs­bearbeitung kann sich aber leicht weiter ausdehnen, wenn weitere Stellen daran beteiligt sind und ggf. der auf die Eingabe zu erteilende Bescheid kontrovers zwischen ihnen diskutiert wird. Dann können sehr komplexe Strukturen entstehen, die für die Genese der getroffenen Entscheidungen aber vielfach sehr aufschluss­reich sind.

(1.2) Bewegungsschema des Vorgangs

(1.3) Transkription

(PDF)

(1.4) Digitalisiate


Beispiel 2:Auszug aus dem Geschäftsjournal der Kolonial-Abteilung im Auswärtigem Amt von 1885

(2.1) Kommentar

Von der Kolonial-Abteilung des Auswärtigen Amts und später dem Reichskolonialamt ist nur ein Geschäfts­journal erhalten, und zwar das von 1885 (R 1001 / 9342). Es zeigt, dass eine kontinuierliche Protokollierung nur in einem Teil der vorgesehenen Rubriken erfolgte. Sorgfältig wird der Eingang mit laufender Nummer, Datum, Absender und Betreff (Inhalt) protokolliert. Felder für die Vorlage des Eingangs in der Behörde sind dann zwar vorgesehen, aber nicht ausgefüllt worden. Ähnliches gilt auch für die Abfassung der Konzepte für die Antwort. Proto­kolliert wird dann erst wieder die Antwort selbst mit Datum und Aktenzeichen der Ablage.

Es wäre allerdings zu prüfen, ob die Registratur des Reichskolonialamtes neben dem Geschäftsjournal noch Karteien für die jeweils im aktuellen Geschäftsgang befindlichen Stücke führte, wie das vielfach in den Behörden der damaligen Zeit der Fall ist.

(2.2) Digitalisate


Beispiel 3 **:Auszug aus dem Geschäftsjournal des katholischen Feldprobstes der Schutztruppen Dr. Vollmar1 (Bundesarchiv-Militärarchiv: PH 32 / 56, fol. 4), 15 Eintragungen, 15. Dez. 1910 - 2. Juni 1913

BArch PH 32 Nr. 56

Geschäftstagebücher wurden auch bei kleineren Behörden geführt, wie hier in einem ziemlich extremen Beispiel mit nur 25 Geschäftsvorgängen in zweieinhalb Jahren. Trotzdem liegt dem Journal aber das gleiche Schema zugrunde wie im Falle des weit detaillierteren Beispiels des Geschäftsjournals des Reichskolonialamtes (Beispiel 2). Auch hier ist das Journal doppelseitig geführt, so dass auf der linken Seite der Einlauf und auf der rechten Seite die Vorgangsbearbeitung dokumentiert ist. Weggefallen sind dagegen die Spalten für die Vorlage des Eingangs bei den verschiedenen Stellen der Behörde sowie die für die einzelnen Schritte der Bearbeitung. Sie waren aber zumindest im Journal des Reichskolonialamtes von 1885 (Beispiel 2) nicht ausgefüllt worden und sind bei einer Behörde mit nur einem Bürozimmer vollends entbehrlich. Ähnliche vereinfachte Geschäftsjournale wurden bei vielen kleineren Behörden geführt, wie z.B. auch bei Schulen.

Auf der Einlaufseite werden die Eingänge mit laufender Nummer eingetragen. Dann folgen die Angabe über den Einsender mit Behördenfirma (von wem?) sowie über das eingegangene Schreiben mit Angabe des vom Einsender vergebenen Aktenzeichens und dem Absendedatum (Datum des Schreibens mit N°), dem nun noch das Eingangsdatum hinzugefügt wird (Datum des Eingangs). Neu ist auch die Aufnahme des Betreffs des Eingangs (Inhalt desselben).

Im Fall des Eingangs Nr. 18 handelt es sich um ein vom Kommando der Schutztruppen im Reichskolonialamt unter dem 2. Dezember 1911 mit dem Aktenzeichen M 1611/[19]11 und der Zusatznummer 467392 vom Referat MA.1 ausgefertigtes Schreiben, das am 23. Dezember [1911] im Büro des Feldprobstes einging und die Entschädigung von 5000 M(ark) für die Militärseelsorge in Südwestafrika betraf.

Auf der Bearbeitungsseite ist eingetragen, was mit dem Eingang in der bearbeitenden Stelle vorgenommen wurde. Erfolgte eine Antwort, so wird sie mit Adressat, Absendedatum und Betreff eingetragen, wie in Nr. 16. Das gleiche gilt auch für von der Behörde selbst veranlasste Schreiben, bei denen dann nur die Eintragungen auf der Bearbeitungsseite erscheinen, wie in Nr. 17. Vielfach wie auch in Nr. 18, war aber auf den Eingang nichts unmittelbar zu erwidern, so dass das Schreiben direkt z(u) d(en) A(kten) genommen und nur noch der Ablageort, nämlich S(üd-)W(est) A(frika) zu vermerken wurde.

Auf dem Vorgang selbst (Bundesarchiv-Militärachiv: PH 32 / 61, Seite 1 mit Anlage S. 2 ff, von der nur der erste Teil reproduziert ist) findet sich so als einziger geschäftstechnischer Eintrag das vom Empfänger vergebene Aktenzeichen, das sich aus dem Eingangsdatum 23/12 [1911] und der Tagebuchnummer 18 zusammensetzt. Ein Eingangsstempel wurde in der Behörde anscheinend nicht benutzt.
Der Quellenwert von Geschäftsjournalen ist auch bei einer vereinfachten Führung, wenn also das Journal kaum etwas zum Prozess der Geschäftsbearbeitung angibt, trotzdem sehr hoch, da sie die Gesamtheit der Geschäftsvorgänge nachweisen. Sie enthalten deshalb vielfach Angaben, die in den immer selektiven Akten nicht enthalten sind.

Korrespondierendes Schreiben PH 32/61 S.1-3 "Entschädigung für die Militärseelsorge in Südwestafrika"

PH 32/61

**Für freundliche Auskünfte danke ich Stephanie Joswiak, Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg.
1Geb. 1. Mai 1839, gest. 8. Juli 1915, seit 1904 Feldprobst der preußischen Armee, seit 1906 zugleich Probst der kaiserlichen Marine, seit 1907 zugleich Feldprobst der deutschen kaiserlichen Schutztruppen, 1913 Ruhestand.

Literatur:
GATZ, Erwin (Hg.), Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1785/1803 bis 1945. Ein biographisches Lexikon, Berlin 1983, S. 780-781 DNB
BRANDT, Hans Jürgen / HÄGER, Peter (Hg.), Biographisches Lexikon der Katholischen Militärseelsorge Deutschlands 1848 bis 1945, Paderborn 2002, S. 860-863. DNB

2Der Bezug der Zahl ist aus dem Vorgang nicht zu klären. Da die Gegenüberlieferung mit dem Geschäftsjournal des Kommando der Schutztruppen wie überhaupt der größte Teil der Akten dieser beim Reichskolonialamt angesiedelten Stelle verloren sind, können dazu hier auch keine weiteren Angabe gemacht werden.